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Wo der Handel „stadt“findet

Rückblick, Einblick, Überblick: Die Entwicklung von Handelsflächen ist ein Thema mit immer neuen Variationen. Ein Ausblick.

Die Bedeutung von Innenstädten und Ortskernen ist historisch betrachtet immens, weil sie für die Bevölkerung und Besucher auf verschiedenen Ebenen nutzbar und erlebbar sind. In der Theorie gelten sie als Multifunktionsorte, in denen sozialer Austausch, Handel, Kommunikation, politische Partizipation und Administration und Diskurse sowie Verkehr, Freizeit und Kultur stattfinden. In der Praxis hat sich allerdings in sehr vielen Fällen der Einzelhandel klar dominierend im Stadtbild im Sinne einer Monokultur durchgesetzt.

Viele Kommunen stehen vor einem tiefgreifenden Strukturwandel

Die Mieternachfrage nach neuen Flächen hatte in vielen Städten und Lagen bereits deutlich vor Corona nachgelassen, und nunmehr hat sich der ehemalige Vermietermarkt endgültig in einen Mietermarkt gewandelt. Dasselbe gilt, grob zusammengefasst, ebenfalls in der Gastronomie und im Dienstleistungssektor. Die vereinzelten Positivmeldungen hinsichtlich steigender Nachvermietungsquoten und Richtung Vor-Corona-Niveau steigender Umsätze (die nicht um den Onlineanteil bei stationären Händlern bereinigt sind) im Handel dürfen nicht über die Notwendigkeit weitreichender Strukturveränderungen zur nachhaltigen Belebung der Innenstädte hinwegtäuschen.

Das Ausmaß der laufenden und der noch zu erwartenden Veränderungen zeigt deutlich, dass der Einzelhandel nicht mehr weiter als wesentlichster Garant für stark frequentierte Innenstädte wirken kann. Lebendige Innenstädte sind mehr denn je auf ein funktionierendes Gesamtsystem mit einer Vielzahl an Nutzungen angewiesen. Das Bundesinnenministerium geht von Konzentrationsbewegungen des Handels auf die besseren Bereiche der innerstädtischen Lagen aus. Gleichzeitig dürften bisher auf günstigere Lagen verdrängte Mieter beispielsweise aus dem Lebensmittelsektor, aber auch innovative Konzepte/Angebote mit sinkenden Mietanforderungen der Eigentümer nachrücken.

Chancen, Ziele und Aufgaben

Inzwischen liegen erste Ergebnisse der empirischen Szenariostudie #elasticity des Fraunhofer IAO mit der Innovationspartnerschaft „Innenstadt 2030+ | Future Public Space“ vor, in der ausgehend von zwölf Zukunftsfeldern schließlich sechs konkrete Handlungsempfehlungen abgeleitet wurden. Diese werden in ersten sogenannten Realexperimenten in die Praxis übertragen und begleitet.
Das Bundesministerium des Inneren (BMI) hat durch seinen „Beirat Innenstadt“ im Juli 2021 ein ausführliches Papier mit dem Titel „Innenstadtstrategie“ herausgegeben. Zeitgleich startete das Bundesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“, mit dem Städte und Gemeinden bei der Erarbeitung von innovativen Konzepten und Handlungsstrategien und deren Umsetzung gefördert werden sollen. Kommunen sollen damit bei der Weiterentwicklung resilienter Innenstädte und Ortskerne unterstützt werden.

Szenarien für ausgewählte Handelslagen

Welche Schlussfolgerungen lassen sich unter Beachtung der jeweiligen Rahmenbedingungen für unterschiedliche Handelslagen ableiten? Aus der Sicht der Immobilieneigentümer gefragt: Welche Voraussetzungen muss eine nachhaltig erfolgreiche Handelsimmobilie mitbringen beziehungsweise welche Anpassungen sind erfolgversprechend oder gar notwendig?
Auch wenn selbstverständlich besonders in Zeiten der vielschichtigen Veränderungen umso mehr der bekannte Grundsatz gilt, dass jedes Handelsobjekt standortindividuell zusammen mit seinem Einzugsgebiet analysiert und beurteilt werden muss: Um eine erfolgreiche Positionierung zu erreichen, gibt es übertragbare Kriterien zur Stabilisierung und Weiterentwicklung der verschiedenen Handelsimmobilientypen.
Der wohl komplexesten Herausforderung stehen (abermals) die Zentren unserer Städte, die sogenannten A- und B-Lagen des Handels, gegenüber. Handel, Kultur, Bildung, Gastronomie, Freizeit, Wohnen und das öffentliche Leben – alle Facetten der innerstädtischen Nutzungsvielfalt werden direkt oder indirekt von den Veränderungen der Lebensstile, Konsumgewohnheiten und Verhaltensweisen der Verbraucher erfasst. Dabei ist und bleibt der Handel integraler Bestandteil des städtischen Lebens – er ist einer von vielen Besuchsanreizen.
Die Anforderungen an das Zusammenspiel der innerstädtischen Akteure sind jedoch erheblich gestiegen. Bestenfalls müsste eine Innenstadt unter Mitwirkung aller Beteiligten ganzjährig kuratiert werden. Erfahrungen aus etablierten City-Managements, Business Improvement Districts (BID) und auch aus dem Centermanagement können sicher wertvolle Hinweise für eine weiterentwickelte Zusammenarbeit geben. Gilt das auch für andere Handelslagen?

Ortsteilzentren und kleinere Shoppingcenter vor Herausforderungen

Wesentliche Eigenschaften der Handelsschwerpunkte mittlerer Größe sind die zumeist kleineren Einzugsgebiete sowie die durch die im Vergleich zu Zentren der Großstädte und größeren Shoppingcentern geringere Flächengröße reduzierte Anzahl von Mietern/Geschäften. Auch wenn meist ein auf das Einzugsgebiet abgestimmter Angebotsmix erreicht wird, so fehlen oft zeitgemäße Ankermieter mit Strahlkraft und einzelne Branchen sind mitunter nur schwach vertreten.

Mieterausfälle, wie etwa zunehmend im Nonfood-Segment, hinterlassen direkt ganze Angebotslücken. Der anspruchsvolle Verbraucher erwartet bei seinem Besuch jedoch ein möglichst breites und tiefes Angebotsspektrum.

Man kann mit Blick auf viele aktuelle Veränderungen eine geringe Resilienz der genannten Handelsstandorte festhalten. „Kleinere Veränderungen“ können jedoch auch schon positive Wirkung entfalten. Der Königsweg wäre es also, künftig die Widerstandskraft gegen und Anpassungsfähigkeit an kommende Anforderungen zu erhöhen und gleichzeitig nachfrageorientierte und identitätsstiftende Angebote für die Bevölkerung des Einzugsgebietes zu schaffen.

Welche beispielhaften Maßnahmen könnten das in einer Mittelstadt* sein?

Getreu dem Grundsatz „Betroffene zu Beteiligten machen“ bedarf es der Organisation und Etablierung eines Netzwerkes aus Beteiligten im Sinne eines Aktionsbündnisses mit breiter Beteiligungsstruktur. Kommunikation ist die wesentliche Aufgabenstellung. Eine zentrale Anlaufstelle ist Dreh- und Angelpunkt, um die nötigen Prozesse zu treiben und in Bewegung zu halten. Dafür sind Kapazitäten bereitzustellen und frühzeitig eine greifbare Zielvorstellung zu entwickeln. Verwaltung kann sich dabei künftig auch als „Netzwerker“ etablieren (siehe #elasticity, 6/2021).

Die öffentliche Hand hat hier auch eine zentrale Funktion als örtliche Verwaltung mit Zugriff auf und auch Verantwortung für die öffentlichen Räume. Insbesondere infrastrukturelle Maßnahmen können aufgrund notwendiger Planungs- und Finanzierungsvorläufe sowie der Realisierungszeiten kaum kurzfristig Wirklichkeit werden. Um das geweckte Engagement bei komplexen und langfristigen Stadtumbaumaßnahmen aufrecht zu erhalten, werden trotzdem recht zügig sichtbare Ergebnisse benötigt. In Bauabschnitten zu denken, hilft bei weitreichenden Großmaßnahmen (zum Beispiel infrastrukturellen Veränderungen) zumindest Teilergebnisse schneller erlebbar zu machen.

Erfahrungsgemäß setzt spätestens mit Beginn der Realisierung kommunaler Investitionen auch die Investitionstätigkeit der Anlieger in ihre Immobilien ein. Die zunehmende Bereitschaft, dabei auch über Nutzungsmischungen nachzudenken und sie zu realisieren, trägt zur Belebung und Attraktivitätssteigerung des jeweiligen Umfeldes bei.

Bestehende Handelsflächen sind bei Veränderungsprozessen besonders auf Anpassungsbedarfe zu prüfen. Reine Handelslagen und auch kleinere Shoppingcenter werden zwar wichtige Handelsschwerpunkte bleiben, sie müssen aber bedarfsgerecht angepasst werden. Eine in Richtung Mixed-Use weiterentwickelte Struktur leistet einen bedeutsamen Beitrag, neue Besuchsanreize zu etablieren und gleichzeitig den Immobilienwert nachhaltig zu sichern.

Die laufende Begleitung durch aktive Kommunikation in allen Phasen der zunehmenden Veränderungen und Verbesserungen dient nicht nur der Information, sondern kann sogar die gewünschte Bindungswirkung der Bevölkerung erhöhen. Auch arrondierende Informationsveranstaltungen schaffen Besuchsgründe und vermitteln gleichzeitig Eindrücke der erreichten Verbesserungen. Als Nebeneffekt wird der interkommunale Austausch befördert: Gemeinden profitieren so von Erfahrungen und für Besucher entstehen weitere Anreize.

Insgesamt darf davon ausgegangen werden, dass sich die Nutzungsmischung in der genannten Lage deutlich erhöhen wird. Das gilt auch für die dort ansässigen Shoppingcenter, wie bereits bei den ehemaligen Warenhäusern sichtbar wird.

Nahversorgungszentren stabil im Markt

Die etablierte Funktion von Nahversorgungszentren ist ein Erfolgsgarant: Der Angebotsschwerpunkt im periodischen Bedarf führt zu regelmäßigen Versorgungskäufen, die stabilisierend auf die Umsätze wirken. Soll sich die Situation dieses Segments verbessern, steht die Notwendigkeit gestalterischer Maßnahmen insbesondere bei bestehenden, älteren Nahversorgungszentren im Fokus. Neben der zeitgemäßen Revitalisierung der Gebäude sind hier die Freiflächen aufzuwerten. Aufenthaltsqualität und Angebotsqualität und -mischung sind dabei gleichermaßen von Bedeutung.

Vor dem Hintergrund der nötigen Verkehrswende und auch als allgemeine Qualitätsanforderung an Wohngebiete planen Kommunen zunehmend dezentrale Strukturen, die eine Versorgung auf Stadtteil- oder sogar auf Quartiersebene ermöglichen.

An diesen Standorten können zusätzliche Nutzungen im Bereich Gesundheit, Pflege, Bildung, Gastronomie und sonstigen Dienstleistungen bestenfalls zur Entstehung eines (ganz neuen) Nachbarschaftszentrums führen. Derartige Nutzungsagglomerationen bieten nicht nur Erschließungsvorteile, sondern haben auch eine soziale Funktion, steigern die Identität mit dem eigenen Wohnumfeld und somit die Lebensqualität. Selbstverständlich verstärkt das integrierte Angebot von Wohnraum diese Effekte und leistet einen Beitrag zum schonenden Umgang mit Fläche allgemein.

Fachmarktzentren in Ortsrandlagen als Krisengewinner mit Anpassungsbedarfen

Hauptmerkmale von Fachmarktzentren sind die großen Handelsflächen mit einem umfangreichen Angebotsschwerpunkt im Segment Nahversorgung, ergänzt durch nicht zentrenrelevante Angebote in Möbel- und Baumärkten sowie auch große Nonfood-Angebote zum Beispiel mit Textilien, Unterhaltungselektronik, Büchern, Spiel- und Haushaltswaren. Die Quantität, aber auch die Qualität des Gesamtangebotes erreicht regelmäßig ein großes Einzugsgebiet. Standorte in Ortsrandlage erfüllen eine wichtige Funktion zur Versorgung der angrenzenden, oft ländlichen Gebiete, in denen die Handelsangebote mit sinkender Bevölkerungsdichte abnehmen. Der hohe Anteil an Waren des täglichen Bedarfes war auch Basis des anhaltenden Erfolges, sogar während der Pandemie.

Die allgemeinen Veränderungen im Handel, insbesondere die Verwerfungen im Nonfood-Segment, treffen selbstverständlich auch die Fachmarktzentren. Maßgeblich für den künftigen Erfolg der Fachmarktzentren sind folgende Faktoren:

  1. Die Modernisierung des Angebotes im Nahversorgungssegment entsprechend den Kundenerwartungen. Es bedarf einer Kombination aus einem großflächigen Vollsortimenter mit einem Discountanbieter, um das gewünschte Angebots- und Preisspektrum abzudecken. Zusätzlich braucht es aufgrund geänderter Ernährungsgewohnheiten ergänzende Angebote im Bio-Segment und bestenfalls zusätzlich bei Frische- und regionalen Produkten.
  2. Gleichzeitig werden kundenorientierte und standortgerechte Angebotsergänzungen aus Handel und Dienstleistung erwartet. Trotz der Veränderungen im Nonfood-Segment werden auch künftig an großflächigen Standorten Sortimente wie zum Beispiel Bekleidung, Unterhaltungselektronik, Bücher, Haushaltswaren und Geschenke nachgefragt. Gastronomie leistet einen wichtigen Beitrag zur Angebotsabrundung und indirekt zur verbesserten Verweilqualität und verlängerten Verweildauer.
  3. Mit angepassten Flächenzuschnitten und gestalterischen Veränderungen muss auf die zunehmend dynamischen Veränderungen im Handel und auf Anforderungen durch neue Nutzungsmischungen reagiert werden. Das setzt nicht nur die nötige Investitionsbereitschaft und -möglichkeit auf Eigentümerseite voraus, sondern auch die Flexibilisierung der zumeist starren planungsrechtlichen Festsetzungen.
  4. Insgesamt bedarf es auch bei Fachmarktzentren einer ganzheitlich interdisziplinär entwickelten Zielkonzeption. Anders als in den oben beschriebenen Lagen kann die Initiative hier in erster Linie von der Eigentümerseite ausgehen, da meist keine kommunalen Vorarbeiten im Umfeld notwendig sind. Eine frühzeitige Abstimmung und Zusammenarbeit mit den örtlichen Verwaltungen ist mit Blick auf die nötige Einbettung in die kommunalen Überlegungen zur gesamtstädtischen Zentren- und Handelsentwicklung und der meist notwendigen Änderung der planungsrechtlichen Voraussetzungen jedoch von großer Bedeutung.

Fazit

Die kontinuierlichen Veränderungsprozesse in Städten können und müssen als Herausforderung wahrgenommen werden. Sie sind allerdings im Ergebnis nicht vorbestimmt, sondern können im Zusammenspiel aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft individuell und konstruktiv gestaltet werden. Alle Akteure der Immobilienwirtschaft müssen dabei künftig ihre Rolle aktiv einnehmen. Die Einbindung der Bevölkerung als Zielgruppe für die Veränderungen ist von der Ideensammlung bis zur Akzeptanz der erreichten Ergebnisse ein wesentlicher Erfolgsfaktor.

Die Kooperation von privaten und öffentlichen Beteiligten/Handelnden gewinnt insgesamt an Bedeutung. Die vielfach zitierte zunehmende Nutzungsmischung in Quartieren und Gebäuden ist nicht nur Ausblick auf künftige erfolgreiche und zugleich lebenswerte Strukturen. Gleichzeitig ist sie als jahrhundertealtes Merkmal der europäischen Stadt auch Rückblick und Grundlage für eine Übertragung in unsere Zeit. Dass die Flexibilisierungsvorteile von Mixed-Use inzwischen auch von Investoren und Städten erkannt werden, stimmt optimistisch für die abermalige Weiterentwicklung unserer Handelsflächen und Städte.

Von Jörg Wege, MEC