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Start und Stopp

Die Fachmarktzentren in Deutschland haben die Coronakrise 2020/2021 insgesamt besser überstanden als ihre Verwandten – die Shoppingcenter in den Innenstädten. Dennoch sind Nutzungs- und Mieterwechsel an vielen Standorten erforderlich, manchmal sogar ein kompletter Neustart. Das deutsche Bauplanungsrecht erschwert und die Verwaltungen verzögern diesen Veränderungsprozess. Nur eine deutliche Entschlackung der Regelungen und Gesetze sowie ein Beschleunigungsprogramm für die öffentlichen Verfahren werden helfen, die Fachmarktzentren verbraucheradäquat umzubauen.

Auslöser für den Reparaturbedarf

Der deutsche Einzelhandel hat in den zurückliegenden 15 Monaten einen beispiellosen Aderlass durchlaufen, der sich rückblickend am besten anhand der Chronik der Coronakrise ablesen lässt. Insbesondere die Phase vom sogenannten „Lockdown light“ Anfang November 2020 bis zur Wiedereröffnung im Juni 2021 hat zu einem gravierenden Ausleseprozess vor allem im Bereich der Fachmärkte im Modeeinzelhandel geführt. Nimmt man die aktuellsten Prognosen des HDE zur Hand, wird der stationäre Textileinzelhandelsumsatz in 2021 knapp 40 Prozent unter dem von 2019 liegen. Mit anderen Worten: Es ist auch in den nächsten Monaten mit dem Ausscheiden zahlreicher Marktteilnehmer im Handel zu rechnen. Dass die Fachmarktzentren mieterseitig in Bewegung sind, hatten wir im letzten Jahr bereits deutlich im Zusammenhang mit der Neunutzung der Real-SB-Warenhäuser in Deutschland diskutiert. Insofern kommen jetzt zwei Haupttreiber für die Refurbishments und Neustarts der Fachmarktzentren zum Tragen, nämlich

  • die Nachbelegung der (Real) SB-Warenhäuser und
  • die coronabedingte Umstrukturierung von Flächen, die infolge ausgefallener Fachmarktmieter neu zu belegen sind.

Muster für die Nachbelegung

In der Mehrzahl der Fälle wird die Fläche des bisherigen SB-Warenhauses in mehrere Mieteinheiten aufgeteilt. Das heißt, neben dem neuen Verbrauchermarkt oder SB-Warenhaus, das deutlich kleiner ist als vorher, kommen ein oder mehrere Fachmärkte hinzu.

Das bisherige, in der Regel sehr restriktive und an die Ursprungsnutzung geknüpfte Bauplanungsrecht am Standort lässt diese Nutzung normalerweise nicht zu. Die grundsätzlichen Lösungsmöglichkeiten sind:

  • die Erzielung der Befreiung von den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans (§31 BauGB), sofern die Grundzüge der Planung nicht berührt sind,
  • die Änderung des bestehenden Bebauungsplans auf der Grundlage eines Verträglichkeitsgutachtens,
  • die Neuaufstellung eines Bebauungsplans, der den bisherigen Bebauungsplan ablöst, oder
  • die Genehmigung des neuen Vorhabens auf der Grundlage von §34 BauGB, wenn der bestehende Bebauungsplan unwirksam ist. Über diese Fallkonstellation hatten wir in den letzten Jahren immer wieder berichtet.

 

Neuer Kaufpark Nickern in Dresden; Grundlage: Neuer B-Plan 3066

Ein neuer Bebauungsplan? Jetzt noch komplizierter

Neben einer langwierigen Änderung des bestehenden Bebauungsplans bleibt also (theoretisch) noch die Möglichkeit, einen neuen Bebauungsplan aufzustellen, der die heutigen Anforderungen berücksichtigt. Dabei geht es zunächst um das Vermeiden der gebietsbezogenen Verkaufsflächenfestsetzungen. Denn die Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Eckernförde-Urteil von 2008 (4 CN 3.07) bedeutet, dass es für baugebietsbezogene Kontingentierungen von Nutzungsmöglichkeiten keine Festsetzungsermächtigung gibt.

Jetzt ist alles noch komplizierter geworden: Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner jüngsten Entscheidung von Oktober 2019 zur Einzelhandelssteuerung über Sondergebietsfestsetzungen entschieden, dass eine Beschränkung der Zahl zulässiger Vorhaben in einem sonstigen Sondergebiet mangels Rechtsgrundlage ebenfalls unwirksam ist (vgl. BVerwG, Urt. 4 CN 8.18). Eine numerische Beschränkung zulässiger Anlagen trage zur Kennzeichnung der Art der zulässigen Nutzung nicht bei. Sie qualifiziere nicht einen Anlagentyp, sondern quantifiziere Nutzungsoptionen.

Zugleich hat das Bundesverwaltungsgericht allerdings auch erneut betont, dass es den Gemeinden erlaubt ist, Sondergebiete für großflächige Einzelhandelsnutzungen auszuweisen und hierbei nach Quadratmetergrenzen bestimmte Regelungen über die maximale Verkaufsfläche zu treffen. Solche Regelungen seien Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung. Dies gelte auch für Einkaufszentren und damit ebenso für Fachmarktzentren. Neben der Festsetzung von Höchstverkaufsflächen sei auch die Festsetzung einer Mindestverkaufsfläche oder von Mindestverkaufsflächen für bestimmte Sortimente zulässig.

Fassen wir zusammen:

  • Die rechtssichere Ausgestaltung der textlichen Festsetzungen für neue Bebauungspläne ist noch anspruchsvoller und letztlich komplizierter geworden.
  • Gebietsbezogene Verkaufsflächenfestsetzungen bleiben weiter unzulässig.
  • Eine Beschränkung der Zahl zulässiger Vorhaben ist rechtlich unwirksam. Auch eine numerische Beschränkung zulässiger Anlagen oder Betriebstypen des großflächigen Einzelhandels ist unzulässig.
  • Neben der rechtlich zulässigen Definition der Höchstverkaufsflächen, insgesamt oder nach Sortimenten, wird die Definition der Mindestverkaufsflächen in neuen Bebauungsplänen immer wichtiger.

Ergebnis:

Die Neuaufstellung eines Bebauungsplans eignet sich auch aufgrund der gewachsenen Komplexität der Anforderungen nicht, um Mieterwechsel im Fachmarktzentrum zügig und erfolgreich umzusetzen und gleichzeitig einen erkennbar unwirksamen Bebauungsplan zu heilen.

Erfahrungen aus den aktuellen Projekten

Die Erfahrungen aus aktuellen Projekten zeigen, dass eine Änderung eines bestehenden Bebauungsplans mit einem Zeitbedarf von 18 bis 24 Monaten und einem hohen Risiko des Scheiterns nicht priorisiert werden kann.

Insofern lohnt es sich weiterhin, entweder die unmittelbare Genehmigungsfähigkeit der Umstrukturierung der Grundlage des bestehenden Bebauungsplans (Reserven im Bebauungsplan) oder unter Zugrundelegung eines unwirksamen Bebauungsplans und der Beurteilung nach §34 BauGB (ungeplanter Innenbereich) voranzutreiben.

Am stärksten verbreitet bleibt allerdings die Befreiung von den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans auf der Grundlage von Paragraf 31 BauGB. Sofern die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, kann der gutachterliche Nachweis der städtebaulichen Vertretbarkeit helfen,

  • sowohl das Verfahren deutlich zu beschleunigen als auch
  • eine gesichtswahrende Lösung zwischen Vorhabenträger und Standortgemeinde zu erreichen.

Forderungen an die Politik nach der Bundestagswahl

Für die Amtszeit der neuen Bundesregierung haben wir im Lichte dieser Herausforderungen folgende Forderungen:

Fachmarktzentren leisten objektiv eine wichtige Aufgabe insbesondere für eine moderne, leistungsfähige Nahversorgung der Bevölkerung. Weil erfolgreiche Städte auch künftig starke Fachmarktzentren brauchen, sollte ihnen auch in den kommunalen Einzelhandels- und Zentrenkonzepten die erforderliche Wertschätzung und Weiterentwicklungschance eingeräumt werden.

Die bisherigen Verfahrensläufe in der Verwaltung müssen deutlich beschleunigt werden. Hier sind alle Möglichkeiten der Digitalisierung (digitales Bebauungsplanverfahren) auszuschöpfen.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall Appingedam/Visser sollte endlich ernst genommen werden. So viel Planung wie nötig, so wenig Einschränkung wie möglich – das sollte die Devise beim Umgang mit der Reparatur und Revitalisierung von Fachmarktzentren sein.

Das Monitoring von Bebauungsplänen sollte jetzt eingeführt werden. Denn textliche Festsetzungen zum „Schutz der städtischen Umwelt“ (Schutz von Innenstädten und anderen zentralen Versorgungsbereichen) sind nur so lange erforderlich, wie es eine Zielerreichung notwendig macht. Mit anderen Worten: Bebauungspläne müssen zwingend spätestens nach zehn Jahren auf den Prüfstand.

Von Uwe Seidel, Dr. Lademann & Partner