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Grüne Handelsimmobilien: Vom “Nice to have” zum “Must have”?

Interview mit Jörg Wege, Head of Strategic Development, MEC

ESG ist derzeit in aller Munde. Man kann den Eindruck gewinnen, wer keine überzeugenden Nachhaltigkeitskonzepte liefert, spielt in der Immobilienwirtschaft bald keine Rolle mehr. Dabei sein oder weg vom Fenster, trifft diese Schwarz-Weiß-Gedanke zu?

Jörg Wege: Diesen Eindruck kann man in der aktuellen Diskussion tatsächlich gewinnen. Mit Blick auf den großen Beitrag, den die Immobilienbranche und insbesondere die Bestandsimmobilien zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens leisten müssen, ist ein rasches Handeln absolut notwendig. Mit einer Modernisierungsquote von jährlich unter fünf Prozent sind wir jedoch in der Immobilienwirtschaft vom Erreichen der Klimaziele weit entfernt. Jahrzehntelang haben die Hinweise auf die Klimaveränderungen nicht zu ausreichenden Verhaltensanpassungen geführt. Da ist die Immobilienbranche leider keine Ausnahme. Jetzt will es die EU regeln oder besser regulieren. Auch global zeigen sich erste, wenn auch zarte Ansätze. Leider fehlt es noch an Geschwindigkeit. Das zeigen uns die Bilder der letzten brennenden Urwälder, sich ausbreitender unfruchtbarer Wüsten, schmelzender Eisflächen und Permafrostböden und nicht zuletzt die mit Plastikmüll verschmutzter Weltmeere. Und das sind nur die medialen Blockbuster der Klimaveränderung. Spätestens mit den letzten Hochwassern sind die Auswirkungen auch vor unserer Haustür angekommen.

Abgesehen von den regulatorischen Zwängen, die in weiten Teilen der Immobilienbranche zu einem Umdenken und auch Handeln führen werden, sollten wir vor diesem Hintergrund alle darauf hoffen, dass ein Umdenken in der gesellschaftlichen Breite erreicht wird. Wenn das angesichts der Betroffenheit jedes Einzelnen gelingt, dann dürfte Untätigkeit in Sachen Nachhaltigkeit künftig branchenübergreifend zu Nachteilen führen.

Ein blasses Entlein wird nicht über Nacht zu einem schönen Schwan. Handelsimmobilien sind vielfach in die Jahre gekommen und wenig nachhaltig. Wie beurteilen Sie diesen Investitionsstau mit Blick auf die EU-Taxonomie?

Jörg Wege: Das ist sicher richtig, besonders wenn man sich vergegenwärtigt, dass laut BuildingMinds 80% der Gebäude im Jahr 2050 bereits heute existieren und 40% aller weltweiten Emissionen verursachen. Bestandsimmobilien müssen also in den Fokus rücken und das gilt besonders für Handelsimmobilien. Bereits vor Einführung der Taxonomie und ohne Beachtung von Decarbonisierungszielen waren sich verschiedene Marktteilnehmer darüber einig, dass 2/3 aller Handelsimmobilien einen Modernisierungs- oder gar Instandhaltungsstau aufweisen. Hinzu kommt ein Anpassungsbedarf, der sich aus den strukturellen Veränderungen im Handel ergibt. Veränderte Kundenanforderungen, deren Kaufverhalten und die daraus resultierenden veränderten Flächen-, Qualitäts- und Standortanforderungen der Händler lösen umfangreiche Anpassungsnotwendigkeiten aus. Der Investitionsdruck wächst stark an und das bei aktuell sinkender Flächenproduktivität und Mieten in nahezu allen Handelssegmenten.

Welche wichtigen Handlungsfelder sehen Sie neben der ESG-Strategie, um Handelsimmobilien zukunftsfähig zu machen und werden diese Notwendigkeiten gerade von der EU-Taxonomie überlagert?

 Jörg Wege: Die Maßnahmen im Zusammenhang mit ESG, die sich ohnehin aktuell nahezu ausschließlich auf das E  beziehen, sind derzeit ein zusätzliches Maßnahmenpaket mit Budget- und Managementbedarf von der Vorbereitung bis zur Umsetzung. Stark vereinfacht könnte man sich drei Ebenen von Maßnahmen in den Immobilien vorstellen. Weder speziell noch neu ist die erste Ebene, auf der alle Capex- und Opex-Maßnahmen anfallen. Für Handelsimmobilien ebenfalls nicht neu sind alle Maßnahmen, die sich aus Anpassungsbedarf im Zusammenhang mit der Handelsnutzung ergeben. Durch die genannten strukturellen Veränderungen der letzten Jahre im stationären Handel hat der Handlungsdruck auf dieser zweiten Maßnahmenebene stark zugenommen.

Mit ESG, kommt nun die dritte Ebene dazu, in der zumeist alle Maßnahmen anfallen, die in erster Linie zur Einhaltung des Decarbonisierungspfads beitragen können. Die schlechte Nachricht: Es wird auch mit partiellen Fördermaßnahmen nicht möglich sein, die Mittel für die insgesamt notwendigen Investitionen kurzfristig bereitzustellen. Die Ursachen dafür sind breit gefächert und reichen von strukturellen Voraussetzungen der Anlagevehikel bis zur mangelnden Finanzierbarkeit der Summe notwendiger Maßnahmen in größeren Bestandsportfolien.

Keine guten Aussichten. Aber die Hände in den Schoß zu legen, wird uns nicht weiterbringen. Gibt es Ideen zur Lösung dieser Problematik?

Jörg Wege: Ein Lösungsansatz kann eine objektbezogene ESG-Roadmap sein. Dabei wird auf Basis einer fundierten Datengrundlage und unter Berücksichtigung der Anlagestrategie des Eigentümers zunächst ein ganzheitliches Ziel für den individuellen Standort entwickelt. Ausgehend von diesem Ziel werden konkrete Maßnahmenpakete entwickelt, die zur Zielerreichung beitragen. Entscheidender Faktor ist dabei selbstverständlich auch der angestrebte Zeitpunkt der Finalisierung, da dieser den zur Verfügung stehenden Zeitraum für die Umsetzung bestimmt. Erfahrene Betreiber von Handelsobjekten können gleichzeitig die Maßnahmen der oben genannten drei Ebenen aufeinander abstimmen und so positive Synergien heben. Die Umsetzung der abgestimmten und freigegebenen Maßnahmen liegt dann in den Händen des örtlichen Standortmanagements mit der notwendigen Objektkenntnis.

Klingt nach einem durchdachten Ansatz. Welche Vorteile bietet das Modell?

Jörg Wege: Die Vorteile einer solchen Strategie sind klar: Mögliche Streckung der Maßnahmen auf einen konkret definierten Zeitplan – entlang des Decarbonisierungspfads. Im Idealfall ist dabei zu jedem Zeitpunkt bekannt, wo die Immobilie dabei aktuell steht. Selbst im Falle einer Transaktion vor Zielerreichung ist somit erkennbar, welches konkrete, finale Ziel verfolgt wird und welche Ergebnisse erreicht wurden bzw. welche Maßnahmen noch offen sind. Eine derartige Transparenz dürfte das geforderte Reporting deutlich unterstützen. Es muss aber klar sein: Zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels bleiben nach Meinung einiger Fachleute nur noch maximal 15 Jahre. Das Strecken des Maßnahmenprogramms bis 2050 reicht also für das übergeordnete globale Ziel, den Klimawandel zu begrenzen, nicht aus. Es muss schneller gehen. Dabei muss klar sein: Der Managementbedarf für Handelsimmobilien steigt deutlich an und muss ESG als zentralen Aspekt beinhalten.

Klimaschutz ist nur ein Aspekt von ESG. Werden die Punkte Social und Governance aus Ihrer Sicht vernachlässigt oder sind die meisten Akteure in der deutschen Immobilienwirtschaft da bereits gut aufgestellt?

Jörg Wege: Die Berücksichtigung der Aspekte S und G, also Social und Governance, sind meines Erachtens grundsätzliche Voraussetzung zur Bewältigung der nötigen gesamtgesellschaftlichen Veränderungen – sie bilden gewissermaßen die Brücke zu breiten Teilen der Bevölkerung und damit die Basis für Veränderungen des Mindsets zugunsten der Erhaltung eines lebenswerten Planeten. Weniger global zwei Anmerkungen zur aktuellen Situation: Im Sinne der Priorisierung wird aktuell zunächst Environmental, als das E, konkretisiert. Hier liegt der größte Hebel zur Einsparung von CO2 und damit die direkte Beeinflussbarkeit der wesentlichen Ursache des Klimawandels. Aufgrund des verbleibenden kurzen Zeitraumes, um den Klimawandel noch im Bereich des 1,5-Grad-Zieles zu stoppen, erscheint diese Priorisierung mehr als logisch.

Die vergangenen Jahre zeigen, dass eine Konkretisierung von Kriterien, einheitliche Regelwerke, definierte Zielmarken und im Notfall auch Sanktionierungen für die tatsächliche Umsetzung von wirksamen Maßnahmen unerlässlich sind. Darüber hinaus sind messbare und belastbare Kriterien und Maßstäbe für G und besonders auch für S schwierig zu entwickeln. Die ersten veröffentlichten Überlegungen der EU geben jedoch bereits einen Einblick. Dieser bestätigt die Schwierigkeiten, zeigt aber gleichermaßen, dass viele Aspekte im Bereich Social und Governance aufgegriffen werden, die auf Unternehmensebene in der EU und noch mehr in der Bundesrepublik seit Jahren umgesetzt werden. Beispiele dafür sind umfangreiche Compliance-Regeln oder die Arbeitssicherheit.

ESG ist ein positiver Schritt in eine nachhaltige Zukunft. Glauben Sie, dass nachhaltige Handelsimmobilien nicht nur das Klima schützen, sondern auch das Investment hinsichtlich Verbraucherakzeptanz und Mieten lukrativer machen?

Jörg Wege: Nach heutigem Kenntnisstand muss man davon ausgehen, dass nicht jede bestehende Handelsimmobilie klimaneutral gemacht werden kann. Unabhängig von künftigen Kriterien und deren Berechnungsmethode sehen wir viele Gebäude, die selbst bei Ausnutzung aller energetischen Substanzertüchtigung (Materialkreislauf) und bei saldierter Berücksichtigung örtlich erzeugter regenerativer Energie (PV, Wind, Erdwärme) selbst bei größter Investitionsbereitschaft nicht die gewünschte Klimaneutralität erreichen können. Es bleibt abzuwarten, wie weit sich die Tendenzen seitens der Verbraucher entwickeln, beim Konsum und speziell beim Einkauf auch Nachhaltigkeitsaspekte bei der Auswahl des Einkaufsortes zu berücksichtigen. Offen gesagt wäre das der wirkungsvollste Hebel zur schnellen Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen, denn unverändert bestimmt der Verbraucher mit seiner Entscheidung die Erträge der Händler am jeweiligen Standort.

Der Umsatz der Händler, ortsbezogen also die Flächenproduktivität, bestimmen die erzielbare Miete des Eigentümers und sind somit wesentlicher Renditefaktor. Persönlich sehe ich in der aktuellen Marktsituation auch bei gesteigerter Anerkennung der Nachhaltigkeitsbemühungen durch die Verbraucher keine Mieten- und damit Renditesteigerung. Umgekehrt könnte bei zunehmenden Anforderungen nicht nur an die Immobilien und Unternehmen der Branche, sondern auch an Handelsunternehmen (getrieben durch Regulatorik und Verbraucherverhalten) die Situation eintreten, dass Händler bei der Auswahl ihrer Mietobjekte auf deren Nachhaltigkeit achten, um damit die Kundenakzeptanz zu erhöhen und negative Bewertungen beim eigenen Reporting zu vermeiden. Erfüllt eine Handelsimmobilien die entsprechenden Erwartungen nicht, so dürfte sich zumindest die Anzahl potenzieller Mieter reduzieren, im schlechtesten Fall eine negative Kettenreaktion bis zum Marktaustritt auslösen. Die gleichgelagerten Interessen von Immobilienwirtschaft und Händlern bieten also eine gute Chance, frühzeitig partnerschaftlich am gemeinsamen Ziel zu arbeiten.