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Die wieder entdeckte Häuslichkeit

Vom Konsum in unsicheren Zeiten und neuen Shopper-Bedürfnissen

Quo vadis, Verbraucher? Der Alltag kommt zum Erliegen, der anpassungsfähige Konsument kann dem aber durchaus auch Gutes abgewinnen. Lebensqualität in Lockdown-Zeiten bedeutet ihm vermehrt Genuss und Gemütlichkeit. Am besten regional, nachhaltig und in der Nachbarschaft. Probier’s mal mit Gemütlichkeit.

2020 ist wegen der Coronakrise ein Jahr großer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen gewesen. Diese Entwicklung hat sich auch in der Ernährung und beim Einkauf von Lebensmitteln widergespiegelt. Bedingt durch die zeitweise Schließung beziehungsweise die Beschränkungen von Restaurants, Cafés, Kantinen sowie das Arbeiten von zu Hause hat sich der Out-of-Home-Konsum stark reduziert. Hiervon konnte der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) deutlich profitieren. So ist der Umsatz des Lebensmitteleinzelhandels, also der Einkauf von Fast Moving Consumer Goods (FMCG), ohne den Fachhandel um 11,3 Prozent und inklusive des Fachhandels sogar um 12,3 Prozent gestiegen. Dies ist dadurch getrieben, dass der Out-of-Home- durch den In-Home-Konsum ersetzt worden ist und die Konsumenten es sich zu Hause gut gehen lassen wollten. Wenn sie schon aufgrund des Lockdowns einen großen Teil ihrer Zeit daheim verbringen mussten, wollten sie sich zumindest hochwertige und gesunde Lebensmittel gönnen.

Starke Krisenprofiteure

Die verschiedenen Vertriebsschienen des Lebensmitteleinzelhandels profitierten in sehr unterschiedlicher Art und Weise von der Krise. Im Bereich FMCG konnten der E-Commerce (43 Prozent), die Food-Vollsortimenter (17 Prozent) und der Fachhandel (15 Prozent) gegenüber dem Vorjahr zulegen, wohingegen der Discount und die SB-Warenhäuser „nur“ um neun Prozent bzw. zehn Prozent gewachsen sind. Bei der Betrachtung der Umsatzzuwächse von Vertriebsschienen in Deutschland ist ein Blick auf deren Marktanteilsverteilung sehr aufschlussreich. In gleichem Umfang wie die Discounter Marktanteile verlieren, können die LEH-Food-Vollsortimenter Marktanteile gewinnen.

Wahre Wachstumssprünge

Es lohnt sich, einen genaueren Blick in den sehr dynamischen FMCG-E-Commerce-Bereich zu werfen, der im Coronajahr einen wahren Wachstumssprung gemacht hat. Zwar liegt der Marktanteil des E-Commerce-Geschäfts am Umsatz des LEH im Jahr 2020 bei bislang nur rund zwei Prozent. Hierbei sollte man aber auch berücksichtigen, unter welchen Bedingungen der gestiegene Online-Marktanteil im Jahr 2020 realisiert wurde.

Während in vielen Nonfood-Bereichen der E-Commerce-Marktanteil aufgrund des Lockdowns und der Ladenschließungen nach oben schnellen musste, konnte der FMCG-E-Commerce seinen Marktanteil trotz eines historischen Umsatzschubs im stationären FMCG-Handel erhöhen. Corona hat den Online-Vertriebskanal deutlich nach vorn gebracht und die Nachfrage ist in allen Bevölkerungsgruppen, von jung bis alt, deutlich gestiegen.

Beim Blick in die Gemeindegrößen zeigt sich, dass FMCG-E-Commerce natürlich seinen Schwerpunkt in den Großstädten hat. Während 2020 der stationäre Handel 31 Prozent seines Gesamtumsatzes in Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern machte, waren es im FMCG-E-Commerce 47 Prozent des Umsatzes. Dies ist nicht allzu überraschend, weil die Angebote vor allem auf die Großstädte ausgerichtet sind. Interessant ist deswegen auch der Blick in die Gemeinden. So haben die Onlineumsätze in den kleineren Gemeinden ebenfalls einen deutlichen Sprung gemacht.

Das Gute liegt so nah

Ein weiterer Gewinner ist der Fachhandel mit Lebensmitteln und Getränken. In Zeiten der Ansteckung entdeckten die Shopper die zum Teil kleineren Läden als einen Ort, der ihnen beim Einkauf mehr Sicherheit gewährte als die oftmals stark frequentierten Supermärkte und Discounter.

Das hatte auch mit dem Sortiment der Fachmärkte und möglicherweise etwa der handwerklichen Art der Produktherstellung zu tun. Und nicht zuletzt damit, dass sich im Zuge der Pandemie bestimmte Trends im Verbraucherverhalten verstärkt haben: Qualitätsbewusstsein, Regionalität, Nachhaltigkeit und Frischeorientierung. Der Frische-Fachhandel ist in der Pandemie durchweg überdurchschnittlich gewachsen. Dabei genossen vor allem der Biohandel und die regionalen Erzeuger das Vertrauen der Verbraucher.

Denn das Gute liegt so nah: Gerade auch in den jungen Generationen konnte man schon vor Corona eine zunehmende Hinwendung zur Region feststellen. Sie suchen und finden in den lokalen Communitys ihren persönlichen Anker. Der seit längerem gebräuchliche Ausdruck dafür ist „Glocal Citizenship“. Dazu gehören Familie, Freunde, Nachbarn, Kollegen – und auch der örtliche Händler.

 

Gemütlich und tendenziell Casual Fashion

Zudem hat die neue Häuslichkeit in Coronazeiten nicht nur die FMCG-Branche, sondern auch den Nonfood-Handel verändert. Von Anfang März bis Anfang November 2020 wurden fast 50 Prozent mehr Büromöbel für zu Hause eingekauft als in der Vorjahresperiode. Die wertmäßige Nachfrage nach Wohnzimmermöbeln stieg um gut ein Viertel – wie auch die für Puzzles als Allzweckwaffe gegen Langeweile in den eigenen vier Wänden. Für Stoffe und Nähbedarf haben die Haushalte in besagtem Zeitraum sogar fast 70 Prozent mehr ausgegeben. Diese Zuwächse ändern trotzdem nichts daran, dass die Umsätze im stationären Handel im genannten Zeitraum um 6,3 Prozent eingebrochen sind. Von Lockdown und stay@home besonders betroffen war alles, was mit Business, Inszenierung und Reisen zu tun hatte. Die Umsätze bei Textilien brachen um fast 60 Prozent ein, und Reiseführer reduzierten sich um 39 Prozent.

Vor Weihnachten gab es allerdings auch positive Impulse. So fanden sich für die schöne Bescherung in den Top-Warengruppen dieses Mal ausnehmend viele Artikel aus dem Bereich Küchenausstattung wie Woks, Küchenmaschinen oder Elektro-Kleingeräte. Dafür haben die Haushalte in den drei Wochen vor den Weihnachtstagen 2020 ein Viertel mehr ausgegeben als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Mehr noch als sonst wurden diese Einkäufe im Internet getätigt.

Daheim schmeckt (es) besser

Ähnlich dramatisch wie den stationären Handel hat es im Jahr 2020 die Gastronomie getroffen. Abgesehen von den Sommermonaten, als die Infektionen gering und die Inzidenzwerte niedrig waren, hat der Außer-Haus-Verzehr fast ausschließlich im Gehen und im Stehen stattgefunden.

Über alle Vertriebskanäle hinweg ist der Out-of-Home-Konsum zurückgegangen, der Besuch von Restaurant, Imbiss und Co. ist in Zeiten der Ansteckung rückläufig, während des zweiten Lockdowns alles in allem um ein gutes Fünftel im Vergleich mit der Zeit davor. Bemerkenswert ist auch: Die erste Tageshälfte, also Frühstück, Vormittagssnack und Mittagessen, gewinnt relativ zur zweiten an Bedeutung.

Eine Befragung der Shopper im GfK Consumer Panel im August und Oktober 2020 zeigt, dass das Kochen zu Hause im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie deutlich zugenommen hat. Ein Fünftel der Befragten gab an, dass sie heute öfter daheim kochen oder Essen zubereiten, statt auswärts zu essen. Zugleich ist das Gesundheitsbewusstsein gestiegen und rund ein Fünftel der Personen geben an, dass sie sich häufiger bewusster ernähren wollen, um fit und gesund zu bleiben beziehungsweise ihr Immunsystem zu stärken.

Salopp resümiert: erst Corona, dann Cocooning. Was lange out war – Home sweet Home – ist wieder in. Der Verbraucher geht neue Wege, die streckenweise altbekannt sind. Die Zukunft liegt eben manchmal auch im Vergangenen.

Von Thomas Steiner, GfK